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ADB:Storch, Ludwig

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Artikel „Storch, Ludwig“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 439–442, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Storch,_Ludwig&oldid=- (Version vom 31. Oktober 2024, 23:01 Uhr UTC)
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Storch: Ludwig St., Dichter und Romanschriftsteller, wurde am 14. April 1803 zu Ruhla im Thüringer Walde geboren, als Sohn eines praktischen Arztes, der bei Storch’s Geburt schon 78 Jahre zählte und ein Alter von 86 Jahren erreichte. Die Wittwe heirathete dann noch einen bedeutend jüngeren zweiten Gatten. Aber aus dieser übereilten Ehe entsprang weder für sie noch für den Sohn Versorgung oder Zukunftssicherheit. Im Gegentheil, gleichwie seine Mutter keinen Segen in diesem Bunde genoß, so blieb auch Storch’s Verhältniß zum Stiefvater andauernd ein trübes. Nach dem üblichen Volksschulbesuche, den etwas Privatunterricht nothdürftig ergänzte, trat St. 1816 in einem Erfurter Landesproductengeschäfte in die Lehre, gewiß schon froh über das Ausscheiden aus den unleidlichen Zuständen im Elternhause. Freilich hatte er sich bei jeder Gelegenheit aus letzterem hinausgeflüchtet in die herrliche Natur seiner Heimath, deren engster Umkreis schon den Blicken des romantisch veranlagten Knaben ein wundervolles Gebirgs- und Waldpanorama entrollte. In der Einsamkeit der erhabenen Landschaftsbilder war seine lebhafte Phantasie angeregt worden, und so entschädigte er sich nun für die Abwesenheit von den geliebten Pfaden der Kindheit durch poetische Ergüsse. Lyrische Verse und sogar ein Drama beschäftigten den, der zum Kaufmann erzogen werden sollte. So verlor denn sein Principal die Lust und entließ ihn nach fünfzehn Monaten. Darauf that [440] man ihn im Frühling 1818 in eine Materialwaarenhandlung derselben Stadt. Doch auch dieser zweite Ansatz zu einem praktischen Berufe schlug fehl. Nach kaum einem halben Jahre begann er den Besuch des Gymnasiums zu Gotha, wo er innerhalb vier Jahre das bisher zum eigenen großen Schmerze Versäumte erstaunlich rasch nachholte. Aber dann spielte ihm seine jugendliche Unbesonnenheit – oder soll man sagen das romantische Temperament? – einen argen Streich. Intime Beziehungen, die er mit einem ihm gewogenen weiblichen Wesen anknüpfte (nach einigen war es ein junges unselbständiges Mädchen, nach anderer Lesart eine ihm in pecuniärer Bedrängniß insgeheim beispringende Wohlthäterin), veranlaßten seine Entfernung von der Anstalt. Er setzte nun die Gymnasialstudien in Nordhausen fort und bezog nach deren Beendigung im Herbst 1823 die Universität Göttingen, entschlossen, sich der Theologie zu widmen. Bald ward ihm jedoch dieser Plan arg verleidet und er sattelte zum pädagogischen Berufe um. Aber auch dabei verharrte er nicht. Zu Ostern 1825 gab er die Vorbereitungen für das Schulamt und den Hochschulbesuch überhaupt auf und verließ Göttingen, um die genannte Jugendliebe zu heirathen. So schön und sittlich rühmenswerth es auch sein mag, daß er die etwaigen Verpflichtungen gegen die durch ihn bloßgestellte Frau einlöste, indem er sein Leben an das ihrige kettete, dieser Schritt leitete eine unaufhörliche Reihe von Kümmernissen und Plackereien ein: St. kam seitdem aus den Sorgen nicht wieder heraus. Ob er in dieser Verbindung sein inneres Glück gefunden hatte, kann man schwer entscheiden. Aber die Nothwendigkeit, nun auf einen geregelten Verdienst zu rechnen, machte die jetzt anhebende Schriftstellerei zur fast ausschließlichen Brotarbeit und ließ die erzwungene Fruchtbarkeit in schablonenmäßige Mache ausarten. Vergeblich versuchte er sich als Journalist; er, dem jeder praktische Zug mangelte, wollte Zeitschriften redigiren, die die öffentliche Meinung mit dem Gewünschten bedienen und andererseits gängeln sollen. Er gründete sogar selbst einen Verlag und eine Buchdruckerei; aber beides blieb ebenso ohne Erfolg wie seine Vorsteherschaft eines Kindergartens. Allenthalben litt er Schiffbruch, zumal er ununterbrochen den Wohnsitz wechselte. Ruhe- und rastlos wanderte er im ganzen weiten Gebiete des deutschen Bundes umher, ohne den ersehnten sicheren Boden zu finden. In Leipzig und Gotha, namentlich dann auch in Stuttgart, Nordhausen, Braunschweig, den heimathlichen Städtchen Georgenthal und Waltershausen, Baireuth, Stettfeld am Main schickt er sich an, Fuß zu fassen. 1860 wandte er sich nach Ungarn und, als ihm auch da der Weizen nicht blühte, im Folgejahre nach Regensburg. Das einzige Jahr 1862 sah ihn in Hamburg, Lübeck und Wandsbeck, im nächsten ließ er sich bei einem guten Freunde zu Freiburg im Unstrutthale nieder. Auch hier duldete es ihn nicht, sondern er probirte es nun mit Würzburg und Umgegend. Endlich fand er 1866 als Pensionär der Schillerstiftung eine feste Stätte zu Kreuzwertheim am Main, wo er am 5. Februar 1881 lebensmüde und lebenssatt starb, litterarisch längst ein Todter, zumal seine Schaffensfreudigkeit seit Jahrzehnten erloschen war.

Daß St. trotz seines unsteten Lebensganges und Charakters dreißig Jahre hindurch eine äußerst ergiebige Feder führte, grenzt an das Menschenmögliche; noch als „Ausgewählte Romane und Novellen“ gab er 31 Bände (Leipzig 1855–62). Er neigt, wohl schon infolge seiner romantischen Uranlage, ganz entschieden zum geschichtlichen Roman mit abenteuerlichem Anstrich, insbesondere zu dem, der die Fabel den farbigen Culturverhältnissen und den spannenden, oft pikanten Vorgängen der „Mémoires“ des 16., 17. und 18. Jahrhunderts entlehnt. Z. B. ist der Nebentitel des Romans „Die Kuruzzen“: „ein historisch-romantisches Gemälde aus der Geschichte Ungarns“ bezeichnend hierfür. Hiermit steht der Umstand im Einklang, daß ungeachtet aller breiten Reflexionen und [441] Gemüthsergüsse das Stoffliche bei ihm immer vorwiegt. Allerdings bemerkt man beständig strebsame Ansätze zur Personencharakteristik; gleichwohl sind ihm Typen wie der in „die Fanatiker“ gehörige predigtwüthige hugenottengeistliche Doctor Severin – wo St. nun wieder durch Uebermaß und eingestreute subjective Kritik den Eindruck abschwächt – nur wenige gelungen. Daß „er sich an [Karl] Spindler’s (s. d.) Manier hielt, und mit weniger Geist und Erfindungsgabe doch immerhin reiche Gemälde, besonders des bürgerlichen Lebens der Vorzeit, aufstellte,“ hat Wolfgang Menzel richtig beobachtet. Sein vollendetstes Erzeugniß auf diesem Gebiete ist „Der Freibeuter“ (3 Bände, 1834); nächst dem heben wir hervor: „Kunz von Kauffung“ (3 Bände, 1828), „Die Kuruzzen“ (2 Bände, 1828), „Der Freiknecht“ (3 Bände, 1830–32), „Die Königsbraut“ (2 Bände, 1832), „Die Beguine“ (3 Bände, 1833), „Die Königin“ (4 Bände, 1858), seinen letzten Roman; aus der angrenzenden Gattung der socialgeschichtlichen: „Der Jakobsstern. Eine Messiade“ (4 Bände, 1836–38), „Die Heideschenke. Irisches Volksgemälde“ (3 Bände, 1837), „Ein deutscher Leineweber. Zeit- und Lebensbilder aus dem 16. Jahrhundert“ (9 Bände, 1846–50, wovon am hervorragendsten die dreitheilige 3. Abtheilung „Das Haus Fugger,“ 1850), „Leute von Gestern. Lebensbilder“ (1. Abtheilung a. u. d. T. „Aus einer Bergstadt,“ 3 Bände, 1852.) Es ist etwas Richtiges an der Bemerkung H. Mielke’s, Storch’s Geschichtsromane „setzten die Traditionen der Romantik in ähnlicher Weise fort, wie A. Dumas in Frankreich, freilich ohne das glänzende Fabulirungstalent dieses Romanciers“, und man kann dies bibliographisch in gewissem Sinne belegen durch Storch’s Uebersetzung aus dem Französischen des Kératry „Friedrich Styndall oder Das verhängnißvolle Jahr“ (Leipzig 1828), die sämmtlichen Biographen Storch’s entging. Nach Goedeke, Grundriß z. G. d. d. D.1 III, S. 1399 Nr. 456 hat er außerdem auch von Croly übersetzt.

Wenn Storch’s Begabung unter dem Einflusse einer unabgeschlossenen Bildung und äußerer Hemmnisse in der gedehnteren Composition des mehrbändigen Geschichtsromanes niemals zur denkbaren Entfaltung gelangen konnte, so zeigen seine kleineren oder auf einfacherem Hintergrund aufgebauten erzählenden Schöpfungen häufig genug wohlthuende Bewegung und Frische, öftere Fülle an Motiven und manchen geschickten Strich in Situations- und Menschenzeichnung. „Max von Eigl“ (3 Bände, 1844) gehört hierher, auch „Der Glockengießer“ (1832). Von gründlichem Verständnisse der verwertheten Materialien zeugen oft die den einzelnen Capiteln vorgesetzten charakterisirenden Verse, von älteren Dichtern oder gern aus der Volkspoesie entnommen; diejenigen in dem historischen Romane „Die Fanatiker“ (2 Bände, 1831) erscheinen so treffend gewählt, wie sonst nur noch die in Wilhelm Hauff’s „Lichtenstein.“ Den heutigen Standpunkt über Storch’s Prosaepik im großen Ganzen vertrete das Urtheil eines gewiegten Kenners der modernen Erzählungslitteratur, der zugleich selbst ausübender Novellist ist: Adolf Stern sagt, die einschlägigen Werke „haben viele Einzelheiten, die sie über die Leihbibliothekenbelletristik emportragen müßten, wenn dies Einzelheiten vermögen“.

Die ersten litterarischen Gehversuche hat St. übrigens in der Lyrik gemacht. „Knospen und Blüten“ (1822), „Die drei Flämmchen“ (1825), „Das Fürstenhaus Gotha“ (1825), letzteres ein mißglückter Ansatz, sich durch Andichten die Gunst seiner angestammten Herrscherfamilie zu erwerben, damit trat er zuerst auf den Plan. Daß die Verse nicht sein Feld waren, sah er bald ein, und quälte sich und andere mit unnützen wie öden lyrischen Reimereien, wie so viele theoretische Weltverbesserer jener vormärzlichen Periode, die sich der Gefühlspoesie übervoll wähnten. Die Abschlußauswahl seiner „Gedichte,“ die 1854 erschien, verdient das Lob geschickter Kritik; was da vorgelegt wird, hält nicht bloß den [442] Erfordernissen an innerer und äußerer Ausgestaltung stand, sondern es stellt zum Theil recht beachtenswerthe Proben für die Fähigkeit zu knapp umrissenen Stimmungsgemälden vor. Außerdem veröffentlichte St. noch „Sagen“ (1832; mit Erzählungen und Novellen), „Phantasiegemälde“ (1840), einen ansprechenden „Balladen- und Romanzen-Schatz“ (1873) und mehrere Arbeiten verschiedenen Charakters zur Kunde seines Heimathlandes: „Wanderbuch durch den Thüringer Wald“ (1841), „Sancta Elisabeth. Wartburgbilder“ (1860), ja sogar eine vierbändige „Thüringer Chronik“ (1841 f.), die historischen Werth nicht besitzt, freilich auch nicht beansprucht. Es ward dies fast alles im Kampfe ums liebe Brot auf den Markt geworfen, sozusagen als Zwangsarbeit. Storch’s nicht umfänglicher „Poetischer Nachlaß; herausgegeben von Alexander Ziegler“ (1882) bereichert unsere Anschauung von Storch’s Wesen nach keiner Seite.

Die angeführte Stelle aus Menzel’s „Geschichte der deutschen Dichtung“ steht III, 439 f., Mielke’s Worte in seinem Buche „Der deutsche Roman des 19. Jahrhunderts“ S. 124 (S. 351 im Register irrig C. Storch), A. Stern’s Auslassung in Meyer’s „Lexikon der deutschen Nationalliteratur“ S. 356 b.